Rechtsstreit VW ./. Porsche

Datum: 16.12.2008

Kurzbeschreibung: 

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Porsche Automobil Holding SE (Porsche SE).

Die Porsche SE wurde am 13.11.2007 in das Handelsregister eingetragen. Sie hält gegenwärtig (seit 16.09.2008) 35,14 % der stimmberechtigten Aktien (Stammaktien) der VW AG (VW). Die Beteiligung betrug am 28.03.2007 ca. 30,93 %. Das Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagen GmbH in private Hand („VW-Gesetz“) in der Fassung bis zum Änderungsgesetz vom 08.12.2008 sowie die Satzung von VW in der Fassung vom Juni 2007 („VW-Satzung“) enthalten besondere Regelungen zu den Aktionärsrechten bei VW:

- Nach § 2 Abs. 1 des VW-Gesetzes sowie § 24 Abs. 1 Satz 4 der VW-Satzung beschränkt sich das Stimmrecht eines Aktionärs, dem mehr als der fünfte Teil der Aktien von VW gehört, auf die Anzahl von Stimmen, die der fünfte Teil der Aktien gewährt (Stichwort: Stimmrechtsbeschränkung).

- § 4 Abs. 1 des VW-Gesetzes sowie § 12 der VW-Satzung räumen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Niedersachsen das Recht ein, je zwei Aufsichtsratsmitglieder in den Aufsichtsrat von VW zu entsenden, solange ihnen Aktien der Gesellschaft gehören. Die Bundesrepublik ist nicht mehr Aktionär von VW, so dass sich die Entsenderechte auf das Land Niedersachsen beschränken (Stichwort: Entsenderecht).

- Gem. § 4 Abs. 3 des VW-Gesetzes sowie § 26 Abs. 2 der VW-Satzung bedürfen Beschlüsse, für die nach dem Aktiengesetz mindestens eine Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals erforderlich ist, eine Mehrheit von vier Fünfteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals der Gesellschaft (Stichwort: Sperrminorität).

Mit Urteil vom 23.10.2007 (-C-112/05-NJW 2007, 3481ff) hat der EuGH einen Verstoß des VW-Gesetzes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit angenommen. Sowohl die Begrenzung des Stimmrechts auf 20 % i.V.m. der Erhöhung der qualifizierten Mehrheit auf 80 % als auch das Recht des Landes Niedersachsen und des Bundes, zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, seien nicht gerechtfertigte Beschränkungen der durch Art. 56 EG-Vertrag geschützten Kapitalverkehrsfreiheit.

Voraussetzung für die Eintragung einer SE (Societas Europaea, europäische Gesellschaft)  ist, dass u.a. eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer (Beteiligungsvereinbarung) geschlossen worden ist. Die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft ist im SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) geregelt. Auf betrieblicher Ebene ist ein SE-Betriebsrat zu errichten, der grenzüberschreitend die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte der Arbeitnehmer wahrnimmt; auf Unternehmensebene sind Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden. Im Rahmen der Gründung einer SE sind die Arbeitnehmervertretungen in den beteiligten Gesellschaften, betroffenen Tochtergesellschaften und betroffenen Betrieben über das Vorhaben zu informieren. Ob es sich bei der VW AG um eine betroffene Tochtergesellschaft handelt, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Die Porsche AG hat Ende März 2007 die in der Europäischen Union (EU) und den anderen Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) beschäftigten Arbeitnehmer des Porsche-Konzerns und deren Arbeitnehmervertretungen über das Umwandlungsvorhaben informiert; die Arbeitnehmervertreter der VW AG wurden nicht informiert. Die konstituierende Sitzung des aus 17 Mitgliedern, davon 10 deutsche Mitglieder, bestehenden besonderen Verhandlungsgremiums fand am 10.05.2007 statt. Das besondere Verhandlungsgremium hat am 20.06.2007  den Abschluss der Beteiligungsvereinbarung beschlossen, die Vereinbarung wurde am 22.06.2007 unterzeichnet. Die 35 Paragrafen umfassende Beteiligungsvereinbarung regelt zum einen die Errichtung eines alle Arbeitnehmer des Porsche-Konzerns repräsentierenden SE-Betriebsrats Zum anderen enthält sie Bestimmungen zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat der Porsche SE.

Die Beteiligten streiten nun darüber, ob die Arbeitnehmervertreter der VW AG bereits bei der Information der SE-Gründung und der Zusammensetzung des zum Abschluss der Beteiligungsvereinbarung gebildeten besonderen Verhandlungsgremiums hätten berücksichtigt werden müssen.

Der das vorliegende Verfahren eingeleitete Konzernbetriebsrat der VW AG (KBR VW) hält die Beteiligungsvereinbarung mangels Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter der VW AG für unwirksam.

Der KBR VW hat im Wesentlichen die Ansicht vertreten, bereits zum Zeitpunkt der Verhandlungen im Frühjahr 2007, jedenfalls aber seit der Entscheidung des EuGH vom 23.10.2007 habe ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Porsche AG und der VW AG bestanden. Dies ergebe sich aus einer faktischen Hauptversammlungsmehrheit, der Ausübung von Personalentscheidungsgewalt, aus personellen Verflechtungen auf Leitungsebene und einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der VW AG von der Porsche SE aufgrund Vertragsgestaltung. Die im VW-Gesetz alter Fassung enthaltenen Einschränkungen der Aktionärsrechte stünden dem nicht entgegen. Das VW-Gesetz sei spätestens seit der Veröffentlichung der Schlussanträge des Generalanwalts am 13.02.2007 nicht mehr anzuwenden gewesen. Außerdem komme der Entscheidung des EuGH Rückwirkung zu
Demgegenüber haben die weiteren Beteiligten die Anträge mangels jeweiliger Antragsbefugnis bereits für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet gehalten. Sie sind den einzelnen Sachargumenten entgegengetreten und haben insbesondere hierzu auch auf die Besonderheiten des VW-Gesetzes und der VW-Satzung hingewiesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 29.04.2008 die Anträge des KBR VW im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, es habe weder bei Entstehung der Beteiligungsvereinbarung noch zum Zeitpunkt der mündlichen Anhörung vor Gericht ein derartiges Beherrschungsverhältnis bestanden. Auf ein mögliches zukünftiges Beherrschungsverhältnis komme es für die gerichtliche Entscheidung nicht an.

Hiergegen wendet sich der KBR VW mit seiner Beschwerde zum Landesarbeitsgericht. Er rügt näher bestimmt fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts insoweit, als es zum einen die Rechtsgrundlage für die Beurteilung des Beherrschungsverhältnisses und zum anderen den insoweit zugrunde zu legenden Beurteilungsmaßstab verkannt habe.

Die weiteren Beteiligten des Verfahrens verteidigen die Entscheidung des Arbeitsgerichts und vertreten sogar weitergehend als das Arbeitsgericht die Ansicht, dass die Anträge des KBR VW allesamt mangels Antragsbefugnis bereits unzulässig seien.
  

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